Freitag, 13. April 1984

Heute Abend vor 98 Tagen bin ich verhaftet worden. Weil ich einen Zettel schrieb und eine Person genau das tat, was ich wollte. Doch bevor ich sie beschreibe, denke ich zuerst an die besseren Seelen von Gahlkow.

Da wären an erster Stelle unser aller Chef, Herr Heyde und seine Lebensgefährtin zu nennen, die im Haupthaus wohnen. Er strahlt eine natürliche Autorität aus, auf die ich stehe.

Herr Heyde kloppte mit uns Skat und ließ uns spüren, was er mag. Wer seinen Job gut macht, steht bei ihm hoch im Kurs. Wir mochten uns.

Bei seiner Frau in wilder Ehe bin ich mir nicht sicher. Sie klopft zwar genau wie er keinerlei roten Sprüche und schaut meist recht freundlich.

Sie könnte jedoch eine Petze sein, wenn sie Nachtschicht hat und uns beim Rauchen auf den Zimmern erwischt, was natürlich verboten ist.

Frau Heller, unsere Erzieherin ist eine gebieterische Dame, die äußerst anstrengend sein kann. In einer alltäglichen Auseinandersetzung setzte ein schlagfertiger Lehrling namens „Hörnchen“ ihr einmal richtig Hörner auf:

In betont nasalem „Fischköppisch“ schoss er auf einen erzieherischen Spruch von ihr spontan aus der Hüfte „eines Tages wird abgerechnet – auf Heller und Pfennig“. Sie quittierte den Volltreffer mit einem erhabenen Lächeln.

Ganz anders unser Heimleiter, der einen auf „Rotfront!“-Veteran macht, um seine Hitlerjugend zu kaschieren. Er kann auf besonders leisen Sohlen wie ein  „Kundschafter“ bedrohlich umherschleichen und überraschend böse angreifen.

Dann wäre noch „Hücki Baby“ – unsere hübsche Ausbilderin zu nennen, die völlig in Ordnung ist. Sie muss mit uns Kerlen einiges ertragen, wenn sie auf ihrer Schwalbe über den Acker geritten kommt. Einmal, nach irgendeiner Streitigkeit, drehte ich mich einfach um und pinkelte genießerisch ins Grüne.

Natürlich hat sie in ihren Kreisen davon erzählt. Auf einen fairen Anschiss war ich gefasst. Aber nein, unser „Herbergsvater“ (siehe Montag, 19. März), dieser Möchtegern-Politoffizier musste unbedingt mehr daraus machen. Er informierte meine Mutter und verwies mich seines Reiches:

Oh Mann, da braut sich was zusammen. In meinem Kopf läuft gerade was schief. Es kommt ein Hauch von Reue auf. Nein, nicht ob meiner Verfehlungen, die unser Blockwart auf ihre bloßen Pointen peinlich verkürzt dokumentiert hat.

Sondern dass ich Gahlkow vielleicht doch zu früh verlassen habe, um diese meine lange Reise anzutreten, die mich neun Monate Knast kostet (siehe Montag, 12. März). Jetzt bloß nicht schwach werden! Warum, verdammt noch mal, bin ich hier? 

Weil die guten Zeiten am 15. Juli, wenn der Lehrvertrag ausläuft (siehe Montag, 9. April), endgültig Geschichte sind und dann die restlichen 47 Jahre bis zur Rente beginnen (siehe Freitag, 27. Januar). 

Wenn ich die Welt vorher sehen und nicht wie „Assi Blaschi“ enden will (siehe Sonntag, 18. März), darf ich mich von angenehmen Erinnerungen nicht einlullen lassen, die nach Antjes langem Brief wach wurden (siehe Samstag, 7. April). Sogar in dieser dunklen Zelle, in der ich gerade sitze, scheint ab und zu die Sonne. 𝓕𝓸𝓻𝓽𝓼𝓮𝓽𝔃𝓾𝓷𝓰 𝓯𝓸𝓵𝓰𝓽 …

Matomo