Dienstag, 17. Januar 1984

Heute muss ich an meine über alles geliebte „Mama“, die Mutter meiner Mutter denken. Sie wohnt in Teutschenthal, wo ich die meisten Wochenenden meiner Kindheit und viele Ferien verbracht habe.

Ihre „Wohnung“ eine schiefe Kate ohne Kanalisation. Anstelle einer Toilette Misthaufen und Plumpsklo. Gleich nebenan im Garten ernteten wir frisches Obst und Gemüse. Ab und zu wurde ein Kaninchen oder ein Huhn aus Opas Stall geschlachtet. Gebadet wurde in einer Zinkbadewanne im Waschhaus. Ein Badezimmer gab es nicht.

Video: Authentische VHS-Aufnahmen aus Teutschenthal im Frühjahr 1990

Für mich als Stadtkind war Teutschenthal das Paradies auf Erden. Mit Opa Hans, Bruder Andi und meinen allesamt älteren Cousins – Reinhard, Joachim, Siegfried und Lutz — ging es regelmäßig auf die weltberühmte Motocrossbahn.

Weit draußen auf einer Grasinsel auf einem riesigen Acker hatten wir uns nach allen Regeln der Kunst eine wetterfeste Blockhütte gebaut, in der die ältesten von uns mit ihren Freundinnen viel Spaß hatten.

PS: Was ich damals noch nicht wusste: Im nächsten Dorf hinterm Acker spielte sich die Kindheit von Kathrin ab (siehe Freitag, 13. Januar).

Ich erinnere mich an ein fürchterliches Gewitter, vor dem wir zu fünft in ein kleines Zelt auf dem Pflaumenberg geflüchtet sind. Mitten im Weltuntergang ließ einer von ihnen einen derart stinkerten Furz, dass wir vor der Wahl standen, draußen oder drinnen zu sterben. Als jüngster und kleinster durfte ich am einzigen Luftloch nach Luft hecheln, damit ich nicht ins Zelt kotze. 

WENN alle Stränge reißen, kann „Mama“ Onkel Werner, Tante Erika und Karin in Wuppertal informieren, WENN sie das nächste Mal in den Westen fährt, sofern sie sich auf ihre alten Tage die ewig lange Zugfahrt dorthin noch antun kann. Doch dazu müsste ich sie in meine Sache reinziehen. Das will ich unbedingt vermeiden, solange Plan A funktionieren kann.

Dazu muss mein Stiefvater die Größe haben, in seinem jährlichen Skiurlaub im Riesengebirge eine Karte mit unmissverständlichen Infos zu schreiben. Die Aussicht, künftig einen nützlichen Idioten im Westen zu haben, dürfte sehr verlockend sein. WENN, ja WENN er die Botschaft zwischen den Zeilen meiner Briefe kapiert.

Jürgen bemerkt die Tränen in meinen Augen und versucht mir Mut zu machen: WENN Rechtsanwalt Vogel Dir antwortet, dann ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis ich im Westen bin. Das sind noch ziemlich viele WENNs. Die Jungs kippen mir überschüssige Stecker aus ihren Papiersäcken in meinen, damit die Norm erfüllt ist. Dann geht es in die Zelle zurück. 𝓕𝓸𝓻𝓽𝓼𝓮𝓽𝔃𝓾𝓷𝓰 𝓯𝓸𝓵𝓰𝓽 …

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Matomo