Mein 13. Wochenende im Knast. Seit 86 Tagen und Nächten eingesperrt. Noch 188 vor mir. Das sind sechs Monate plus fünf Tage und Nächte. In 1.224 Stunden ist Halbzeit.
Heute vor 74 Jahren wurde meine geliebte „Mama“ geboren. Wie gerne würde ich jetzt in Teutschenthal sein und ihren Kirschlikör schlürfen, den sie seit Jahrzehnten selbst brennt (siehe Dienstag, 17. Januar).
„Blaschi“, der heimlich Rasierwasser nippt, wenn ich wegschaue, würde begeistert sein. Was ich über Carl Wentzel weiß, rülpst er mich an. Dass er der Schlossherr von Teutschenthal war und meine Oma von ihm geschwärmt hat, kratze ich notdürftig zusammen, was ich gehört habe.
Ob ich sie jemals gefragt hätte, warum sie von ihm schwärmt, hakt er nach. Ja, weil er ein – in ihren Augen gerechter – „Junker“ gewesen sein soll, der im Zuge der Bodenreform enteignet wurde, radebreche ich ertappt, was uns in der Schule über „Ausbeuter und Unterdrücker“ beigebracht wurde.
Das ist wieder typisch, winkt „Blaschi“ ab. Gar nichts wüsste ich, „weil Geschichte immer von den Siegern geschrieben wird“. Deshalb hat man uns verschwiegen, dass er der erfolgreichste Agarunternehmer in Mitteldeutschland war, der von den Nazis umgebracht wurde.
Obwohl oder gerade weil er ein gerechter Mensch war, haben die Kommunisten den praktizierenden Kapitalisten aus ihren Geschichtsbüchern gestrichen. Nirgends ein Wort über seine sozialen Bemühungen, von denen meine Oma schwärmt.
So sind sie, die Sozis. Genau wie die Nazis. Die einen rot und international. Die anderen braun und national. Gefährliche Extremisten, die Andersdenkende eiskalt aus dem Weg räumen.
Wenige Monate vor Kriegsende musste er ohne Hosenträger wie ein Lump vor dem Blutrichter Freisler stehen, sich beschimpfen und zum Tode verurteilen lassen. Kurz vor Weihnachten haben sie ihn wie Schlachtvieh an einem Fleischerhaken in Plötzensee aufgehängt.
Besonders tragisch an seinem Schicksal ist, dass seine Familie innerhalb weniger Jahre gleich zweimal enteignet wurde. Zuerst von den Nazis. Bis die Amis kamen und alles retour ging. Dann übernahmen die Russen und krallten sich wieder alles.
In aktuellen Geschichtsbüchern nur Agitation und Propaganda. Kein Wort über ihn und seine Arbeit, von der wir alle bis heute profitieren. Dafür umso mehr über die barbarischen Methoden der anderen Diktatur.
Nein, dafür kann ich natürlich nichts. Trotzdem kotzt es ihn an, wie ungebildet wir jungen Leute in solchen Fragen sind, die uns eines Tages um die Ohren fliegen werden, wenn sich der Wind wieder dreht. Denn Geschichte wiederholt sich. Sprach es und vertieft sich wieder in seine Kreuzworträtsel. 𝓕𝓸𝓻𝓽𝓼𝓮𝓽𝔃𝓾𝓷𝓰 𝓯𝓸𝓵𝓰𝓽 …
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