Cobol ist ein Sprachkoloss 1

Die kaufmännisch orientierte Programmiersprache Cobol ist in vielen Unternehmen die absolute Nummer eins, wenn es darum geht, riesige Geldsummen und umfangreiche Lagerstände digital zu verwalten. Ein wichtiger Grund soll die überdurchschnittlich bequeme Programm- und Datenportierbarkeit sein.

Cobol hat in mindestens zwei Punkten ernstzunehmende Alleinstellungsmerkmale: Sie ist im kaufmännischen Bereich weltweit mit Abstand die am meisten verwendete – und gleichzeitig eine der umstrittensten Programmiersprachen.

Dass Cobol in den entsprechenden Branchen so intensiv eingesetzt wird, sollte ein überzeugendes Argument für die Programmiersprache sein. Worum also streiten sich die Gemüter? Jeder erfahrene Cobol-Programmierer kennt die Schwachpunkte, die scheinbar gegen den Einsatz von Cobol sprechen und die wir kurz nennen wollen. Dann wird deutlich, dass weniger die Sprache selbst als vielmehr andere Umstände Ursache für den Streit sind und die Vorteile bei weitem überwiegen.

Beginnen wir mit den elementarsten Punkten, worauf ein Cobol-Einsteiger unbedingt gefasst sein sollte: Cobol-Handbücher sind bis auf Visual-Cobol von MBP und VS-Cobol von IBM alle in Englisch. Darüber hinaus legen die Autoren größten Wert auf teilweise übertriebene Vollständigkeit und extrem dicht konzentrierte Informationen, was häufig mit unzähligen Querverweisen verbunden ist. Aussagekräftige Beispiele, die die umfangreichen Syntaxbeschreibungen praxisgerecht demonstrieren, sucht man leider oft vergeblich.

Zwar gehört zum Lieferumfang einiger Cobol-Compiler eine ganze Palette mit umfangreichen Demoprogrammen – ob sie jedoch ausgerechnet die Passage finden, die für Ihre Arbeit interessant ist, sei dahingestellt. Auch wenn Sie Informatik studiert haben und Sie sich in einen neuen Cobol-Compiler einarbeiten müssen, sollten Sie zeitraubende Experimentierphasen einplanen.

Trotz aller Reglementierungen, die in Cobol bekanntlich gang und gäbe und aus nachvollziehbaren Gründen auch gewollt sind, bleiben Missverständnisse nicht ausgeschlossen. Wesentlich Neues oder Hilfreiches werden Sie zudem kaum in der vorhandenen Zusatzliteratur erfahren.

Überdies verderben häufig seitenlange Listings mit umständlichen und nach modernen Gesichtspunkten total unstrukturierten Algorithmen den Lesespaß. Kritik hat wenig Sinn, weil dort, wo streng in Cobol programmiert wird, elitäre Programmierergenerationen an veralteten Richtlinien festhalten und sich der ernsthaft interessierte Nachwuchs den oft jahrzehntealten betriebseigenen Standards zu unterwerfen hat. Für grundsätzlich neu durchdachte und zukunftsorientierte Programme, die entgegen allen bösen Behauptungen in Cobol tatsächlich möglich sind, fehlt einfach die Zeit.

So geht es im gewohnten Trott weiter. Ähnlich den Mikroprozessoren 80386 oder 486, die sich trotz intelligentester Architektur und nahezu unerschöpflichen Fähigkeiten nach wie vor mit speicherlimitierten DOS-Anwendungen herumzuschlagen haben, werden in Cobol zwar ständig alte Standards durch neue ersetzt und immer funktionalere Spracherweiterungen implementiert – die praxisbewährten Programme mit ihren leider immer noch vorhandenen GOTO-Anweisungen und nummerierten Paragrafennamen bleiben jedoch weiterhin im Einsatz und müssen über Jahre hinweg in unendlicher Kleinarbeit mühevoll gepflegt werden. Kein Wunder, wenn ein Pascal- oder C-verwöhnter Programmierer die Lust auf Cobol verliert und sich eine – strukturierte – Denkweise nicht durch alte Regeln verderben lassen will. Da helfen auch nicht der an der englischen Umgangssprache angelehnte Wortschatz und die rein optisch betrachtet überaus saubere Gliederung von Cobol-Programmen.

Neben anderen häufig nur von individuellen Geschmäckern abhängigen Minuspunkten trägt auch die Pflicht für Informatikstudenten, Cobol lernen zu müssen, zur relativ weitreichenden Unbeliebtheit der Programmiersprache bei. Über die Form und Logik von Cobol lässt sich tatsächlich streiten, denn sie ist im wahrsten Sinne des Wortes eine problemorientierte Programmiersprache und sollte auch nur als solche betrachtet werden. Mathematische – nicht jedoch kaufmännische Berechnungen – oder grafische Anwendungen in Cobol zu programmieren, ist nahezu ein Krampf. Trigonometrische Funktionen oder ähnliches sind im standardmäßigen Sprachumfang beispielsweise nicht enthalten. Sie werden in Cobol-Anwendungen aber auch tatsächlich kaum benötigt.

Quelle: PC+TECHNIK 6/1990

Matomo