Sonntag, 22. Juli 1984

Das Gespräch mit Peter war überraschend gut. Er hat sich ernsthaft darüber gefreut, dass ich ihn überhaupt um seine Meinung gefragt und nicht einfach „durchgezogen“ habe.

Seine Version unserer Geschichte klingt plausibel. Er sitzt seit vielen Monaten hier. Aus seiner Sicht war Rudis Nachfolge längst geklärt. Da kommt so ein junger Hüpfer und kippt alles um.

Das erinnert mich an die vielen langen Gespräche mit „Assi Blaschi“ (siehe Dienstag, 3. April).

Was Peter nicht weiß, ist, dass ich Respekt vor seinem Alter und ein Faible für Aufrichtigkeit habe.

Außerdem war es Rudis Entscheidung. Nicht meine! Und nein, das mit der Kloschüssel will er wirklich nicht gewesen sein.

Er kann sich gut vorstellen, dass es eine Falle von Bums war, um mich zu testen. Das deckt sich mit meiner Theorie.

Wir machen einen Deal. Meiner festen Überzeugung nach werde ich nicht bis zum bitteren Ende hier sitzen müssen.

Sobald ich hier raus bin, wird er mein Nachfolger. Es kann sich nur um Wochen handeln. Bis dahin kann er an meiner Stelle in den Fernsehraum, wenn die Chefs einverstanden sind.

Was, wenn ihm das zu lange dauert? Dann werde ich „durchziehen“ und ihm zeigen, wozu ein „junge Hüpfer“ fähig ist, der sich mit seinem Stiefvater bis aufs Blut geprügelt hat (siehe Freitag, 20. Januar).

Er denkt nach und ist einverstanden. Nicht weil er Angst vor mir hat. Sondern weil er meine Klarheit schätzt.

Wenn ich kein 213er wäre, würde er mich für einen Kriminellen halten. Das sollte ein Kompliment sein.

Wenn er wüsste, wie froh ich darüber bin, nicht zum Schwein werden zu müssen. Das sollte kein Scherz sein. 

Gut, dass er nicht weiß, wie kurz davor ich in Wahrheit war, lieber früher als später nachzugeben, um keinen „Nachschlag“ zu riskieren.

Eine Auseinandersetzung solchen Kalibers könnte Ermittlungen wegen Körperverletzung und eine zweite Verurteilung nach sich ziehen, die meinen Freikauf gefährdet.

Ob ich dieses Risiko wirklich eingehen würde? Eher nicht. Nur in Notwehr. Doch der Bluff hat funktioniert.

Danke, Peter – so kann ich sauber bleiben und Du bekommst, was Du willst. Nur noch eine Sache.

Ich will ans Fenster! Und zwar nach oben. Wer Rudis Furzkuhle unten erbt, ist mir egal. Kriegst Du das hin? Er arrangiert es.

Heute Abend liege ich zum ersten Mal seit langer Zeit völlig entspannt und genieße meine Butterbemme im frisch gemachten Nest am offenen Betongitter.

Draußen weht ein laues Lüftchen, während ich mit City im Kopf „Am Fenster“ summend in den Sonnenuntergang fliege:

„Einmal fassen, tief im Blute fühlen / Dies ist mein und es ist nur durch dich / Klagt ein Vogel, acht auf mein Gefieder / Nässt der Regen, flieg ich durch die Welt“. 𝓕𝓸𝓻𝓽𝓼𝓮𝓽𝔃𝓾𝓷𝓰 𝓯𝓸𝓵𝓰𝓽 …

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Matomo