Samstag, 31. März 1984

Von Mord und Totschlag geträumt. Kein Wunder, nachdem mir „Blaschi“ gestern Abend die wahre Geschichte vom Kreuzworträtselmord erzählt hat, der 1981 in Halle-Neustadt geschehen ist.

Der Mord ging mir so nahe, weil der getötete Junge aus dem selben Haus direkt gegenüber der modernen Feuerwache mit Polizeirevier stammte, in dem meine Mutter, mein großer Bruder Andi und später „Onkel Rudi“ und ich gewohnt haben (siehe Montag, 13. Februar).

1972 war ich in dem Alter des Jungen, der umgebracht wurde. 1973 kam er zur Welt. Bis zu unserem Umzug in eine größere Wohnung 1975 könnten wir uns durchaus begegnet sein (siehe Freitag, 17. Februar). An ihn erinnern kann ich mich jedoch nicht.

Es gab immer mal wieder Gerüchte über Kinder, die verschwanden und tot aufgefunden wurden. Die waren so gruselig, dass ich mich eine zeitlang nicht allein in unseren Keller traute, um meinen Roller oder später mein Fahrrad aus der Dunkelheit zu holen und abends wieder dort abzustellen.

Vom Kreuzworträtselmord mitbekommen habe ich 1981 nur, dass neben einem Bahngleis ein Koffer gefunden wurde. Darin lag die Leiche eines kleinen Jungen. Sie soll in Zeitungspapier eingewickelt gewesen sein.

Nicht ganz, sagt „Blaschi“. Die Leiche war in Plastik verpackt. Im Koffer befand sich neben einer Decke auch Zeitungspapier mit ausgefüllten Kreuzworträtseln. Mir schwant, was jetzt kommt.

Tausende Bewohner von Halle-Neustadt mussten eine Schriftprobe abgeben. Polizei klingelte an den Wohnungstüren, um sie einzusammeln. Es kam zu mehreren Altpapiersammlungen. Unzählige Handschriften und Kreuzworträtsel in Zeitungen wurden verglichen.

Zehn Monate später haben sie den Täter tatsächlich erwischt. Er hatte die Kreuzworträtsel im Koffer zwar nicht selbst ausgefüllt, sondern eine Frau, die mit ihm zu tun hatte. Nach Gesprächen mit ihr soll es zu dem entscheidenden Hinweis gekommen sein.

Das Schwein hat den armen Jungen nach einem Kinobesuch in die Wohnung dieser Frau gelockt, brutal vergewaltigt, mit einem Messer erstochen und mit einem Hammer erschlagen. Dann hat er die Leiche in einen Koffer gepackt und auf einer Zugfahrt nach Leipzig aus dem Fenster geschmissen.

Vergewaltigung von Kindern gibt es in der DDR häufiger als man denkt, gibt „Blaschi“ zu denken. Nur weil es keine Nachrichten darüber gibt, heißt das noch lange nicht, dass es nicht passiert.

Und weil ich genau so jung bin, wie der Mörder damals war, muss ich im Knast, in den ich bald verlegt werde, verdammt aufpassen, damit es mich nicht erwischt. „Weiß ich“, antworte ich angewidert, weil ich längst abartige Erfahrungen mit Kinderschändern gemacht habe. 𝓕𝓸𝓻𝓽𝓼𝓮𝓽𝔃𝓾𝓷𝓰𝓯𝓸𝓵𝓰𝓽

Matomo