Samstag, 14. Januar 1984

Rums-rums, rassel-rassel, schließ-schließ. Die Tür geht auf und bleibt einfach offen. Auf dem Gang diffuses Hin- und Her. Zögerlich wage ich einen Blick nach draußen.

Video: Authentische VHS-Aufnahmen aus der Innenstadt von Aschersleben im Frühjahr 1990

Da steht die Fistelstimme und sagt „Ausziehen und heraustreten!“. Aber kein „Gesicht zur Wand!“. Stattdessen ein Kopfnicken in Richtung Nachbarzelle, die eine Dusche ist.

Ein paar Sekunden reichlich Wasser – weder warm noch kalt. Wasser aus. Schnelles einseifen und Haare waschen. Wasser an. Schnelles spülen. Wasser aus. Mit einem groben Geschirrtuch die Reste abtrocknen, wo kein Wasser hinkam. Zurück in die Zelle. Rums-rums, rassel-rassel, schließ-schließ. Tür zu. Das war doch mal eine Abwechslung.

Nach dem Frühstück, Hofgang und Mittagessen wieder stundenlang nichts. Viel Zeit für Erinnerungen. Diesmal muss ich an meinen großen Bruder denken. Herbst 1983 …

Letzter Besuch bei Andi, der in Aschersleben gestrandet ist. Mit der Absicht, ihn vielleicht einzuweihen. Vorher muss ich herausfinden, auf welcher Seite er steht. Ein besonders kluger Kopf, der mir fast alles beigebracht hat. Extrem geschickt und sehr belesen. Doch seit er bei der Fahne war, sind wir uns fremd geworden. Nach einer brüderlichen Nacht in seiner Baracke, in der er sich wohnlich eingerichtet hat, haue ich wieder ab. Sein Leben würde meine Zukunft sein. Dann lieber Knast, als NVA.

Rums-rums, rassel-rassel, schließ-schließ. Die Tür fliegt auf. Obligatorische Meldung. „Sachen packen und raustreten!“. „Gesicht zur Wand!“. Diesmal geht es die Treppe rauf unters Dach. Dort lande ich in einer größeren Zelle, die offensichtlich belegt, aber in der keiner da ist.

Zwei Doppelstockbetten mit einer Armlänge Platz dazwischen. In der hinteren Wand kein vergittertes Fenster, sondern noch viel höher eine bedrückend kleine Luftklappe umrandet von Glasbausteinen. In den Ecken neben der Zellentür mehr Platz. Links das Klo, ein Waschbecken und eine Ablage mit Utensilien. Rechts ein Tisch, vier Stühle und ein Wandregal mit Kram. Auf dem Tisch Bücher. Vielleicht ein gutes Zeichen, dass die fehlenden Insassen keine Schläger sind. Bloß nichts anfassen! 𝓕𝓸𝓻𝓽𝓼𝓮𝓽𝔃𝓾𝓷𝓰 𝓯𝓸𝓵𝓰𝓽… 

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Matomo