Mittwoch, 1. August 1984

Wir fühlen uns wie die vier Musketiere. Nur einer will nicht mehr dazugehören. Er klopft an die Zellentür. Die Klappe geht auf und ein Offizier fragt mit eisiger Miene, was los ist.

Er sei falsch hier, sagt unser „Assi“ mit bebender Stimme. Wie kommen Sie darauf? „Finden Sie es heraus“. Die Klappe geht zu. Schlüssel rasseln. Riegel quietschen. Die Tür geht auf.

Wir halten die Luft an. „Dann gommse ma mit“. Wir nicken ihm zu. Dann ist er weg. So schnell kann’s gehen.

Gespannte Unsicherheit macht sich breit. Angst vor bösen Überraschungen. Wer weiß, was die noch finden, um uns vorführen zu können.

Sonst quälende Langeweile. Endlich Hofgang. Anders als in Greifswald kein Gänsemarsch im Kreis (siehe Sonntag, 8. Januar). Und auch kein Sportplatz zum Exerzieren wie in Halle (siehe Sonntag, 27. Mai).

Wir stolpern in ein Gehege in der Größe einer Garage mit meterhohen Betonwänden. Vorne an der Tür deutlich breiter. Nach hinten immer schmaler. Vermutlich ein Ringbau. Oben Stacheldraht und blauer Himmel. Sonst nichts.

Hier dürfen wir die frische Luft genießen. Auf einem Laufgitter hoch über uns ist ab und zu ein Wachmann mit Knarre zu sehen. Sonst absolute Stille.

Das sind ja schöne Aussichten. Zuversicht und Resignation wechseln sich ab. Jetzt bloß nicht paranoid werden. Das ist ein stinknormaler Stasiknast. Die machen nur ihren Job. Alles wird gut, versuche ich mich zu erden.

Am Nachmittag werden wir zu „Einzelgesprächen“ geladen. Keine investigativen Vernehmungen wie vor meiner Verurteilung (siehe Samstag, 7.Januar). Auch keine erzieherischen Überzeugungsversuche wie in der Frohen Zukunft (siehe Freitag, 11. Mai).

Die ganze Atmosphäre hat etwas Bürokratisches. Ich soll eine Erklärung unterschreiben, dass ich weder Schulden noch Vermögen habe und wer meine Wohnung auflösen soll. Das mache ich doch gerne.

Wenn das kein Volltreffer ist, dann fresse ich einen Besen. Harald und die dritte Nase sehen es genauso. Einen solchen Zettel unter diesen Umständen unterschreiben zu müssen, kann nur eins bedeuten. Die wollen uns loswerden. 

Jetzt geht es nur noch darum, uns so günstig wie möglich aus ihrem System und höchstmögliche Preise vom Westen zu bekommen. Sie werden noch ein wenig herumschnüffeln, bevor sie uns endgültig in den Arsch treten.

Diesen Tritt werde ich gerne in Kauf nehmen. Sollen sie sich ruhig die Nasen wund schnüffeln. Meine Leichen im Keller können sie nicht finden, weil ich keinen Keller habe.

Hauptsache, die Versorgung bleibt wie sie ist. Gegen die Langeweile kann ich mit Falco im Kopf anstinken: 

„Drah di net um / Schau, schau, der Kommissar geht um / Wenn er di anspricht und du weißt warum / Sag ihm, dein Leben bringt di um“. 𝓕𝓸𝓻𝓽𝓼𝓮𝓽𝔃𝓾𝓷𝓰 𝓯𝓸𝓵𝓰𝓽 ...
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Matomo