Dienstag, 6. März 1984

Gestern war Andis Tag der Abrechnung. Sie haben kurzen Prozess gemacht. Bewährung vergeigt. Die angedrohte Haftstrafe von zwei Jahren verhängt.

Dass sein Opfer ein Stasispitzel war, stand zum Glück nicht zur Debatte (siehe Samstag, 4. Februar). Sonst hätte er vielleicht mehr bekommen. Wie geht es jetzt weiter?

Bis das Urteil rechtskräftig ist, werden noch ein paar Tage vergehen. Ab sofort gilt er als verurteilter Strafgefangener, während ich ein inhaftierter Untersuchungshäftling bin. Theoretisch könnte ich noch freigesprochen werden.

Was angesichts der Schwere meiner Straftat jedoch ausgeschlossen ist. „Let’s Go West“ auf einen Zettel zu schreiben und mit der Bahn die Westgrenze passieren zu wollen, ist hier ein Verbrechen. Deshalb sollte ich mich an die Aussicht gewöhnen, die ich gerade zu sehen bekomme.

Wäre ich 1982 wirklich über die Mauer gesprungen, wie meine Klassenlehrerin befürchtet hat (siehe Montag, 5. März)? Nein, natürlich nicht. Das wäre mir viel zu riskant gewesen (siehe Donnerstag, 12. Januar).

Deshalb war ich stinksauer, dass ich mit meinen liebsten Klassenkameraden nicht um die Häuser ziehen und vielleicht ein letztes Mal lange Nächte durchmachen konnte.

Zum Glück gehörte ich zum Inner Circle einer äußerst umtriebigen Clique. Wir brauchten keine Klassenfahrt, um in Berlin abzuhängen. Und keine Aufpasserin, um in „Erichs Lampenladen“ in die Disco zu kommen, die wir längst kannten.

Stattdessen strandeten wir in Hennigsdorf auf der dunklen Seite der Stadt. Dort feierten wir drei Tage und Nächte mit wunderschönen Mädels aus der Provinz, die uns dafür liebten, hier gestrandet zu sein (siehe Dienstag, 24. Januar).

Nach „Berlin“ (aka „z.B. Susann“) von City muss ich heute unbedingt noch einen zweiten Song singen. Und zwar den gleichnamigen Hit von Ideal, eine der coolsten NDW-Gruppen aller Zeiten, von der ich alle Titel in- und auswendig kenne:

„Bahnhof Zoo, mein Zug fährt ein / Ich steig aus, gut wieder da zu sein / Zur U-Bahn runter, am Alkohol vorbei / Richtung Kreuzberg, die Fahrt ist frei …“. Andi ist begeistert. Weiter gehts im Bakelit-Programm. Im Osten nichts Neues. 𝓕𝓸𝓻𝓽𝓼𝓮𝓽𝔃𝓾𝓷𝓰 𝓯𝓸𝓵𝓰𝓽 …

Matomo