Dienstag, 24. Januar 1984

Langsam aber sicher bekomme ich Hornhaut an den Fingern. Fast so wie beim Gitarrespielen. Nur an anderen Stellen.

Da wo sie beim stundenlangen Grabschen, Fummeln und Montieren von Bakelit-Steckern auf Stifte, Schrauben und Muttern stoßen. Dazu der Geruch nach alten Papiersäcken und verbrauchter Luft. Und das ewige Geklapper.

Warum ich ausgerechnet den langen Weg über den Knast gewählt habe, will Jürgen wissen. Da fällt mir „Gerhard Gösebrecht“ von Udo Lindenberg ein und ich erzähle von meiner Begegnung mit einem „Raumschiff“ im Frühjahr 1983 (siehe Donnerstag, 12. Januar 1984).

Den kürzesten Weg über die Mauer hatte ich nach einer gruseligen Schocktherapie im Sommer 1983 aufgegeben.

Ein Jahr zuvor, im Frühjahr 1982 war ich mit besten Freunden auf „Deutschlandtour“. Wir wollten nach Ost-Berlin trampen. Wir landeten jedoch in Hennigsdorf im Westen an der Grenze zu West-Berlin.

Dort kampierten wir über drei Tage und Nächte auf einem Anger, ohne dass wir von irgendwem kontrolliert wurden.

Daraus schloss ich, dass der provinzielle Teil der Mauer vielleicht weniger intensiv bewacht würde, als der städtische im Osten.

Ein Jahr später machte ich die Probe aufs Exempel und trampte nach Falkensee im Südwesten von Hennigsdorf. Dort ging ich zu Fuß in Richtung Nordosten. Es wurde dunkel.

Ein erdiger Waldweg führte ins Nichts. Nirgends eine Laterne. Totenstille. Plötzlich stand ein riesiger Wolf vor mir. Vor Angst erstarrt blieb ich reglos stehen. Dann leuchtete mir eine Taschenlampe ins Gesicht.

Der Wolf war ein Schäferhund. Hinter der Taschenlampe ein Grenzer mit Gewehr, der nach meinem Ausweis fragt. Und wohin des Wegs zu so später Stunde. Mit Puls bis zum Hals konnte ich die Adresse einer Freundin in der Nähe nennen.

Er kaufte mir die Story vom Liebhaber ab, der sich verlaufen hat und ließ mich gehen. Damit hatte sich eine Flucht über die Mauer für mich erledigt. 𝓕𝓸𝓻𝓽𝓼𝓮𝓽𝔃𝓾𝓷𝓰 𝓯𝓸𝓵𝓰𝓽 …

Matomo