Nur die Ruhe. Erstens stimmt es so nicht, dass die deutschen Unternehmen die Digitalisierung vertrödeln, verschlafen etc. Wo Staatssekretäre solche Sprüche aufschnappen, ist mir schleierhaft. Zweitens prüfen verantwortungsbewusste Firmen vollkommen zu Recht, ob sich der neueste Hype, den das Marketing gerade durch die Nachrichtenkanäle jagt, für sie überhaupt auszahlt.
Manchmal kommen Unternehmer zu dem Schluss, dass ERP-Software oder ein Pick-and-Place-Roboter tatsächlicheine lohnende Investition ist. Manchmal auch nicht. So ist das mit unternehmerischen Entscheidungen. Die politischen Sonntagsredner haben hier nichts zu lamentieren, sondern zu respektieren. Und die Voraussetzungen zu schaffen, dass gute Arbeit lohnende Arbeit bleibt, dass sich Ideen ausprobieren können und dass nicht zuletzt die digitale Infrastruktur das überhaupt erst machbar macht, was die Politik von der Wirtschaft fordert.
Andererseits gibt es viele gute Möglichkeiten für Gründer, das eigene Start-up auf Steigflug zu setzen. David Schahinian hat sich umgesehen, was die Kreativquartiere, IoT-Campusse und Technologiezentren dazu beitragen, die allenthalben wie Pilze aus dem Boden schießen. Die Konzepte sind dabei so unterschiedlich wie die Interessen der Beteiligten. Etablierte Unternehmen profitieren in mehrfacher Hinsicht von der Nähe zu Erfindern und neuen Technologien, denn sie erhalten ersten Zugriff auf junges Know-how und auf die entsprechenden Fachkräfte. Im Gegenzug tun sich Start-ups leichter, wenn sie ihre Anwendungen zum Beispiel unter Produktionsbedingungen demonstrieren können. Für Kommunen wiederum ist das pure Standortförderung. Von daher gehört ein Technologiezentrum heute auch zu jedem Smart-City-Masterplan.
Was sonst noch zur „Stadt der Zukunft“ gehört, beschreibt ein eigener Report ab Seite 16. Parallel dazu hat Friedrich List Beispiele gesammelt, wie etablierte Unternehmen die digitale Transformation angehen – und zwar mit Erfolg. Das augenfälligste Exempel im deutschen Norden dürfte der einstige Katalogversandhändler Otto sein. Wer einmal Gelegenheit hatte, selbst zu sehen, wie man in Hamburg heute das Digitalgeschäft angeht, wird das eher als Weckruf für sich selbst empfinden. Dieses Beispiel rückt außerdem in den Blick, dass die Logistik weiterhin das erste Experimentierfeld digitaler Lösungenist.Kaum irgendwo sonst lassen sich dermaßen hohe Effizienzgewinne herausschlagen wie in einer Branche, die zahllose Prozessschritte geografisch weit verteilt mit einer Vielzahl von Akteuren in den Griff kriegen muss.
Passend zum IFA-Termin haben wir außerdem die beiden großen Messestandorte Berlin und Hannover gegeneinander gehalten (Seite 7). So unterschiedlich die Strategien sind und so sehr sich Firmen-IT, Industrie 4.0 und Consumer Electronics auch unterscheiden, der gemeinsame Trend Richtung Event und Erlebnis ist doch unverkennbar. Wer jetzt in Berlin genau hinsieht, wird feststellen, dass die Entwicklung längst quer durch die Branchen geht. Die Roboter-Staubsauger auf der Funkausstellung kommen aus der Forschung für die Fertigung, und Smart-Home-Appliances arbeiten mit industrieller Sensortechnologie, während Ingenieure ihre Maschinen per Tablet-Dashboard kontrollieren, wie sie es als Consumer gewohnt sind. Bei Technologien wie VirtualReality schließlich ist noch gar nicht heraus, ob sie ihre Zielgruppe in Produktentwicklung, Anlagenwartung oder doch in der Gamer-Gemeinde finden. Nach der IFA werden wir vermutlich mehr wissen. Wir sehen uns das in jedem Fall an.
Quelle: IT-Unternehmen (aus der Region) stellen sich vor 1/2018 (PLZ 0-3) in c’t 19/18