In 28 Berufsjahren, die ich als ITK-Journalist ziemlich aktiv unterwegs bin, habe ich einige Abmahnungen ertragen müssen. Wenige lösten sich nach klärenden Gesprächen in Wohlgefallen auf. Viele mussten Anwälte unter sich klären. Alle haben unnötig Zeit, Geld und Nerven gekostet. Keine ist vor Gericht gelandet.
Oft war ich versucht, publizistische Grobiane für ihre Unanständigkeiten abzumahnen — habe es jedoch aus moralischen Gründen nie getan. In den meisten Fällen hat eine freundliche aber bestimmte Korrespondenz genügt. Die wenigen Fälle, in denen es mit oder ohne Abmahnung ein teurer Kampf gegen Windmühlen gewesen wäre, habe ich mit der Hoffnung auf Selbsterledigung ignoriert. Manche Hoffnung hat sich sogar erfüllt.
Unterm Strich habe ich gelernt, grob zwischen zwei Arten von Abmahnungen zu unterscheiden: Entweder geht es schlicht um missverstandenes Recht. Oder missbräuchlich um schnelles Geld.
Hätte die Kanzlei hinter der jüngsten Abmahnung zum Telefon gegriffen und einfach mal gefragt, warum eine mutmaßlich seriöse Redaktion das beanstandete Bild in einem journalistisch einwandfreien Beitrag veröffentlicht hat, wäre ich geneigt, ihre „Abmahnung wegen Verwendung von Entwürfen der XYZ GmbH“ vom 12. Mai 2015 in die erste Schublade zu stecken.
Mangels geschäftsmäßiger Korrespondenz im Vorfeld packe ich sie jedoch in die zweite. Zusätzlichen Anlass dazu gibt das — mit Verlaub — hinterfotzige Fax während des Poststreiks kurz vor den Feiertagen mit einer Fristsetzung mitten in den Pfingstferien auf exakt vier Werktage später abzüglich eines potenziellen Brückentags. Es wäre zumindest nicht die erste Abmahnung, die darauf abzielt, den Empfänger mit unerreichbaren Terminen außer Gefecht zu setzen. Hinzu kommt dieser vernichtend formulierte Satz:
„Angesichts der Offenkundigkeit des Verstoßes können wir Ihnen nur dringend raten, die Unterlassungserklärung umgehend zu unterzeichnen und uns fristgemäß zurückzusenden. Andernfalls werden wir unverzüglich gerichtliche Schritte gegen Sie einleiten.“
Das lässt vermuten, dass unsere völlig verstoßfreie Veröffentlichung sorgfältig auf juristische Auslegbarkeit geprüft wurde und die sehr wohl belegbar anständige Herkunft des Bildes keine Rolle spielt: Unterschreiben, zahlen, Schnauze halten. Widerspruch zwecklos. Klärende Telefonate Zeitverschwendung. Künftige Berichterstattungen riskant.
Es ist zugegebenermaßen traurig aber wahr, dass ich tatsächlich keinen Bock auf Streit habe hatte. Weil alle Abmahnungen, egal ob aus rechtlichen oder pekuniären Gründen, eines gemeinsam haben — sie quälen, blockieren und belasten. Deshalb werde wollte ich zähneknirschend ein Ei drüber schlagen. Ja, ich gestehe: Nach stets demoralisierenden Anwaltsschreiben habe hatte ich mich zunächst für den leichteren Weg entschieden:
Keinen weiteren Anwalt involvieren, den ich zusätzlich bezahlen muss, sondern unterschreiben, zahlen, Schnauze halten. Denn unsere Gerichte und wir haben wirklich Wichtigeres zu tun, als die missverstandene Sichtung eines unmissverständlichen Bildes verhandeln zu müssen, wenn ein klärendes Gespräch genügen sollte.
1. Nachtrag: Nach einem Wochenende darüber schlafen habe hatte ich es mir anders überlegt und am Montag, 18. Mai eine zweite Meinung vom Justiziar meines Gesellschafters eingeholt. Seine erste Antwort: Unterlassung (von ihm redigiert) unterschreiben und kein Geld überweisen. Drei Tage und ein paar Recherchen später hat er der Abmahnung eine völlige Absage erteilt.
2. Nachtrag: Die Gegenseite hat am Freitag, 22. Mai, 16:48 Uhr auf unsere Absage geantwortet und bleibt bei ihrer „Rechtsauffassung“. Sie listet auf zwei Seiten diverse Paragraphen und Urteile auf, in denen u.a. von „Vorlagenfreibeuterei“ die Rede ist. Wenn bis Dienstag, 26. Mai, 16 Uhr keine „Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung die Wiederholungsgefahr beseitigt“, muss ich mit „gerichtlichen Durchsetzungsmaßnahmen im Eilverfahren rechnen“. Außerdem könne nun alles „als Beweis der vorsätzlichen, rechtswidrigen Weiternutzung … gewertet werden“. Unsere Quellen (drei Unternehmen) verbreiten ihre Pressemitteilung mit dem betreffenden Bild derweil weiter (Stand: Sonntag, 24. Mai, 2:05 Uhr).
3. Nachtrag: Am Sonntag, 24. Mai, 20:47 Uhr habe ich das beanstandete Bild gelöscht und eine deutlich gekürzte Unterlassungserklärung mit der Anmerkung abgegeben, dass „dies ausdrücklich nur zur Wahrung des Rechtsfriedens dient und insbesondere nicht als ‚Schuldeingeständnis‘ irgendeiner Art zu interpretieren ist“. Welche Folgen diese Abmahnung auf meine journalistische Arbeit im Umgang mit Pressefotos haben wird, ist unklar.
4. Nachtrag: Am Montag, 9. Juni veröffentlichte das MittelstandsWiki den Beitrag Fragwürdige Abmahnung mit dem jüngsten Stand der Dinge, weiteren Recherchen und potenziellen Folgen für kleine und mittlere Unternehmen, Blogger und Publizisten. Fortsetzung folgt.