Was von der CeBIT übrig bleibt

Die CeBIT 2012 war eine der besten aller Zeiten: Trotzdem oder gerade weil nur auf der Hälfte ihrer höchsten Besucherrekorde längst vergangener Zeiten, ging es endlich wieder unaufgeregt, abgeklärt und konsolidiert zur Sache.

Wer das Gegenteil behauptet, war nicht wie ich über ein Viertel Jahrhundert auf nahezu allen CeBIT-Messen aus beruflichen Gründen hautnah dabei. Dieser persönliche Eindruck galt zumindest für die Hallen 11 und 12, wo es hauptsächlich um Rechenzentren, Sicherheit und Vertrauen ging. Dort hatte ich zum fünften Mal infolge die Ehre, die CeBIT Security Plaza moderieren zu dürfen, wo Viren, Würmer und Trojaner das kleinste aller Übel waren.

Bei den ortsüblichen Gesprächen über virtuelle Hypes, tatsächliche Trends und zarte Pflänzchen irritierten vor allem zwei Themen, die in den Vorjahren noch als hohle Marketingphrasen oder Wunschdenken abgetan wurden: Green IT und Big Data. Mit dem kleinen aber feinen Unterschied, dass „Green IT“ im Jahr 2012 niemand in den Mund nehmen durfte, der keine Ablehnung riskieren wollte. Zu lautstark wurde diese Sau durchs Dorf getrieben. Wer dasselbe Stichwort hingegen mit Energieeffizienz beim Namen nannte und mit realistischen Kostenrechnungen belegte, bekam die volle Aufmerksamkeit.

Umgekehrt proportional verhielt es sich mit einem zweiten Thema: Big Data. Wer in den Vorjahren über Distributed Computing beziehungsweise Verteiltes Rechnen sprach, konnte sich wissenschaftlich interessierter Zuhörer sicher sein. Da es hiervon nicht so viele wie gemeine IT-Anwender gibt, war damit jedoch kein Blumentopf zu gewinnen. Mit Big Data ist es anders. Auf den ersten Blick klingt es wie eine neue hohle Phrase. Erst beim genaueren Hinschauen zeigt sich die wahre Bedeutung.

Buchstäblich alle Parteien, die sich zurzeit aus einschlägig politischen Gründen für oder gegen Vorratsdatenspeicherung und artverwandte Begehrlichkeiten wenden, werden sich früher oder später derselben Mittel bedienen und ihre jeweiligen Auswirkungen beklagen und bekämpfen, die sie in ihren dringend zu überarbeitenden Parteiprogrammen propagieren. Noch finden die meisten Diskussionen darüber genau wie beim Urheberrecht extrem polarisierend, böse polemisierend und widerwärtig agitierend statt. So lange, bis es keiner mehr hören, sehen und differenzieren kann.

Aber genau wie Green IT wird Big Data eben nicht nicht so schnell von der Bildfläche verschwinden, sondern unter einem ganz normalen Begriff wie Energieeffizienz für Green IT unseren Alltag bestimmen. Weil alle Parteien genau wie Unternehmen früher oder später wissen wollen und müssen, wie ihre Wähler oder Kunden ticken, wem sie warum folgen und was sie wirklich wollen.

Freundliches Händeschütteln, joviales Schulterklopfen und peinliches Fähnchenverteilen kurz vor der Wahl wird im analogen Leben mit digitaler Unterstützung schlicht nicht mehr funktionieren. Mit einem kleinen Haken, den IT-Profis seit Jahrzehnten kennen. Ein winziger Fehler im Programm liefert schlicht die falschen Resultate. Solche Fehler sind schneller programmiert und mit exponentiellen Auswirkungen behaftet als es streitbare Argumentationsfehler aufgeregter Politiker und erregter Künstler je waren.

Aus diesem Grund halte ich Big Data tatsächlich für eines der wichtigsten und gefährlichsten Themen, die ausgerechnet in Rechenzentren (!) berechnet und von partizipierenden Evangelisten massiv gesteuert werden. Wer das nicht glaubt, braucht einfach nur in soziale – über Rechenzentren verkabelte – Netzwerke zu schauen, um hautnah zu erfahren, wie dort agitiert, propagiert und manipuliert wird:

Erst wenn der letzte Missionar durchschaut, das letzte Vertrauen endgültig verspielt, und der letzte Pirat erwachsen geworden ist, werden wir spüren, dass wir zwar immer bessere, sichere und energieeffizientere Rechenzentren bauen, aber die vielen Daten nicht essen können ;-)

P.S. Dieser Beitrag ist eine 1:1-Abschrift. Das gedruckte Original erschien im April 2012 in der Themenbeilage Rechenzentren und Infrastruktur II/2012, die der iX – Magazin für professionelle Informationstechnik 5/2012 beilag.

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Matomo