Sonntag, 29. Juli 1984

Aus einem Alptraum aufgewacht. Auf ein Kettenbett gefesselt. Weil ich im Schlafraum von Nobl durchgedreht bin.

Er wollte mich von hinten zwingen. Das habe ich nicht zugelassen. Es kam zu einer fürchterlichen Schlägerei mit gebrochenen Knochen.

Dann kamen die Schließer und zerrten mich in den Arrest. Dort schnallten sie mich auf eine Pritsche ohne Matraze, auf der ich mich keinen Zentimeter bewegen konnte. Endstation.

Seltsam, wie Traum und Wirklichkeit sich manchmal treffen. Der Sonntagvormittag begann tatsächlich mit einem extra langen Marsch auf dem Sportplatz.

Nobl, der Stecher von Bums muss unbedingt beweisen, wer hier der Chef ist. Mir schwillt der Kamm.

In meiner Fantasie läuft ein Film, in dem amerikanische Soldaten in Halle einmarschieren, alle Kommunisten, Sozialisten, Marxisten, Leninisten, Stalinisten, Maoisten und Sonstwasisten entwaffnen und die Frohe Zukunft befreien.

Dann höre ich scharfes Hundegebell. Angeblich soll unser Knast mit einem Hundestreifen umrandet sein, in dem bissige Köter an Laufbändern angekettet Wache schieben.

Gesehen habe ich keine. Was ich in schlaflosen Nächten gehört habe, können Kläffer aus den benachbarten Schrebergärten sein.

Doch das Gerücht hält sich hartnäckig. Wirklich wundern würde es mich nicht. In Magdeburg haben Polizeihunde keine zwei Meter von mir nach meiner Wurst gelechzt (siehe Mittwoch, 9. Mai).

Es ist zum Durchdrehen. Alles wiederholt sich. Unter der Woche überall Lärm. Nirgends Ruhe. Werkzeugkisten stanzen. Essen fassen im Laufschritt. Endlose Tage. Schlaflose Nächte (siehe Freitag, 25. Mai).

Zwar habe ich mich mit dem gigantischen Stress einigermaßen arrangiert. Doch schadlos durchhalten bis zum bitteren Ende kann ich das nur, wenn ich wenigstens an den Wochenenden einigermaßen Ruhe habe.

Danach sieht es gerade nicht aus. Fehlt nur noch, dass ich abends wieder auf die Piste muss, weil Nobl oder seiner Mieze danach ist (siehe Montag, 21. Mai).

Seit ein paar Tagen stagniert die Nachfrage nach Tattoo-Vorlagen. Kein Wunder bei der Fluktuation. Die Betten von Gaby und Rudi sind bis heute unbesetzt. 

In anderen Trakten das gleiche Theater. Meine einzige Hoffnung ist, dass es einen „politischen“ Grund gibt.

Mit etwas Glück hat sich mein blauäugiger „Erzieher“ vorige Woche vielleicht doch verquatscht und ich hätte „gleich alle“ Karos mitnehmen sollen (siehe Samstag, 28. Juli).

Bevor ich mich länger selbst bemitleide, weil ich morgen Früh wieder „kleechen“ muss, werde ich mich heute Abend mit den „Polizisten“ von Extrabreit im Kopf vergnügen:

„Wenn sie von der Nachtschicht kommen / Haben ihre Augen dunkle Ränder / Sie rauchen Milde Sorte / Weil - das Leben ist doch hart genug“. 𝓕𝓸𝓻𝓽𝓼𝓮𝓽𝔃𝓾𝓷𝓰 𝓯𝓸𝓵𝓰𝓽 ...
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Matomo