„Wieso Kanada?“, setzt Jürgen unser Gespräch von gestern fort. Weil ich Verwandte in Toronto habe und einen Atomkrieg im kanadischen Hinterland vielleicht besser überleben kann.
Mitte der 1970er Jahre hat Onkel Adolf meine Großeltern in Teutschenthal besucht. Onkel Adolf ist ein Bruder von Opa Hans. Mein Großonkel stand weltmännisch aufrecht und filmreif schick angezogen in der schiefen Kate meiner Großeltern und berichtete in einem eloquenten Gemisch aus Deutsch, Englisch und Französisch aus einer völlig fremden Welt.
In der Schule haben wir gelernt, wie armselig das Leben dort ist, wo arme alte Rentner von der Hand im Mund leben müssen. WIESO schwärmt er davon? WESHALB kehrt er freiwillig wieder dorthin zurück? WARUM bleibt er nicht einfach hier? Sein „auf gar keinen Fall“ brachte mein theoretisches Weltbild damals heftig ins Wanken.
Da war vor allem seine völlig entspannte Distanz zu politischen Themen, mit denen wir im Unterricht regelmäßig konfrontiert wurden. Dabei durften wir uns sogar ganz besonders sicher fühlen. Unser Schulgebäude in Halle-Neustadt war eines der ersten mit Atombunker.
Die Räume im Souterrain hatten große helle Fensterfronten mit riesigen Lichtschächten, in denen meterhohe Betonplatten schräg nach oben führten. Die Türen zum Treppenhaus waren tonnenschwere Stahlkolosse.
Im Falle eines Atomschlags werden die Betonplatten vor die Fenster gekippt und die Schleusen wie in einem U-Boot verriegelt. Bei der Explosion einer Atombombe bloß nicht ins Licht schauen, sondern diszipliniert unter die Tische kauern, bis die Schule evakuiert wird. Dann würde alles gut werden. 𝓕𝓸𝓻𝓽𝓼𝓮𝓽𝔃𝓾𝓷𝓰 𝓯𝓸𝓵𝓰𝓽 …