Samstag, 3. März 1984

Neuntes Wochenende in U-Haft. Noch neun Tage bis zu meiner Gerichtsverhandlung. Bin gespannt, wie das abläuft. Mein Zellenkumpan ist übermorgen dran.

So entspannt wie er würde ich gerne sein. Wie damals in meinen letzten Tagen in Halle-Neustadt, als wir mit Friedels Boot durch die Saaleauen schipperten. 

Friedel ist einer meiner ältesten Freunde. Unsere Mädchen nennen ihn „Gummiadler“. Warum, weiß ich nicht. Für mich ist er mein „Posemuckel“, weil wir uns seit frühester Kindheit aus einem Ferienlager auf Rügen kennen.

Dort gab es in Souvenierläden eine Ostseepuppe zu kaufen, die genau wie Friedel aussieht. Oder er wie sie. Offiziell hieß sie Otto. Wir tauften sie Posemuckel.

Friedel fährt eine wunderschöne DKW 125 RT. Doch damit nicht genug. Er hat als einziger von uns einen Bootsführerschein. Und ein kleines Motorboot mit Kajüte. Am Wochenende fuhren wir mit unseren Maschinen an seinen Anlegeplatz an der Saale.

Dann ging es den stinkenden Fluss entlang in die Saaleauen. In den Nebenarmen ist die Saale nur halb so dreckig. Dort kann man zur Not auch mal ins Wasser fallen, ohne sich in „Wurschdsuppe“  aufzulösen. Nur genüsslich schwimmen oder gar tauchen wäre auf Dauer äußerst ungesund.

Die Krönung war, wenn wir „Im Krug zum grünen Kranze“ anlegten. Dort gibt es einen Biergarten, den wir enterten. Die Leute guckten sehr irritiert, als wir jungen Kerle aus dem Boot kletterten. Kein erwachsener Skipper in Sicht.

Unser Traum war es, mit Friedels Boot bis zur Elbe und auf ihr nach Hamburg zu schippern. Das konnten wir uns natürlich abschminken. Es gibt kein schöneres Lied, das beschreibt, wie wir drauf waren. Es heißt „Weißes Boot“ von der polnischen Gruppe Rote Gitarren.

Mir gelingt es selten, diese heimliche Hymne aller Ausreisewilligen ohne Anflug eines Weinkrampfs zu singen: „Lebewohl, weißes Boot, Lebewohl / Meine Liebe, mein Traum, mein Idol / Flammensegel steigt, der Wind sich neigt / So ein Boot bleibt mein Traum, allezeit …“.

Heute kein Bakelit-Programm, weil Wochenende ist. Nur Hofgang. Buch lesen. Dummes Zeug quatschen. Und endlos grübeln. Im Osten nichts Neues. 𝓕𝓸𝓻𝓽𝓼𝓮𝓽𝔃𝓾𝓷𝓰 𝓯𝓸𝓵𝓰𝓽 …

Matomo