Samstag, 28. Juli 1984

Vorgestern hatte ich ein äußerst merkwürdiges Gespräch mit unserem schönen Offizier. Der mit den herrlich blauen Augen (siehe Samstag, 23. Juni).

Eigentlich wollte ich nur eine Schachtel Karo aus meinem Reservoir holen, das ich ihm zur Verwahrung anvertraut habe.

Ob ich nicht „gleich alle“ mitnehmen wolle, fragte er mich mit einem seltsamen Lächeln. Und ob ich nicht langsam mal wissen wolle, wie viel Geld ich auf meinem Konto habe.

Nein, das interessiert mich nicht. Im Knastladen gibt es nur Kinkerlitzchen und Fressalien, mit denen ich nichts anfangen kann.

Die Zigaretten sind das Letzte. „Juwel 72“ raucht kein Schwein. „Club“ ist viel zu teuer. Und „Schlager-Süßtafel“ der Hohn. Einzig „Pitralon“ könnte gehen.

Da spare ich lieber für draußen, versuche ich das Gespräch in Richtung seiner kleinen aber feinen Äußerung „gleich alle“ zu lenken. Das hört sich wie vorzeitige Entlassung an.

Da habe ich mich wohl verhört, versucht er sein Ungeschick zu übergehen. Für mich klang das nach einem Freudschen Versprecher. Vermutlich weiß er etwas, was das absehbare Ende meines Aufenthalts in der Frohen Zukunft betrifft.

Er wechselt das Thema und kommt mal wieder auf meinen jüngst erneuerten Ausreiseantrag zu sprechen. Ob es wirklich keine Chance gibt, mich umzustimmen.

Nicht schon wieder! Es ist doch alles gesagt. Noch mal fürs Protokoll: Dieser Staat hat alle Chancen der Welt gehabt, mich zum Hierbleiben zu bewegen. Für mich gibt es nur eine Richtung (siehe Montag, 7. Mai).

Er schüttelt konsterniert den Kopf. Für meinen Geschmack einen Hauch zu freundlich. Anders als die üblichen Bonzen holt er zu keinem Vortrag aus. Irgendwas stimmt hier nicht.

Entweder ist er stockschwul und steht auf mich. Oder er beneidet mich um meine stoische „Unbelehrbarkeit“.

Für mich fühlt es sich so an, als sei er weder für noch gegen mich. Ein armes Schwein, das in seiner Uniform gefangen ist.

Zurück im Schlafraum versuche ich meine Gedanken zu ordnen. Je besser es mir geht, seit ich Peter ruhigstellen konnte und Bums auf Abstand halten kann, um so mehr komme ich ins Grübeln.

Es braut sich was zusammen. So viel steht fest. Ob es mir gefällt oder nicht. Was, wenn das die Ruhe vor einem Sturm ist? Kaum gedacht, zuckt mir Georg Danzer durch den Kopf:

„Des Volk schaut nimme länger zua / Die Ruhelosen woin a Ruah / Es läut‘ die Glockn aufm Turm / Des is die Ruhe vor dem Sturm“. 𝓕𝓸𝓻𝓽𝓼𝓮𝓽𝔃𝓾𝓷𝓰 𝓯𝓸𝓵𝓰𝓽 …

Matomo