Samstag, 28. Januar 1984

Nach meinem Besuch vom Staatsanwalt ging es in eine andere Zelle. Seine klare Ansage scheint ein Freibrief für erneute Einzelhaft zu sein.

Das riecht nach Psycho Killing – haben mir die Gespräche und die feudalen Essen mit den Jungs doch wirklich gut getan.

Rums-rums, rassel-rassel, schließ-schließ. Der kleine Obermeister Schäfer baut sich vor der Tür auf und faselt von einer letzten Chance, meinen Ausreiseantrag zurückzuziehen, wenn ich bessere Haftbedingungen wie meinen „Urlaub“ unterm Dach wünsche.

Nach dem Duschen und Hofgang werde ich wieder allein eingeschlossen. Den Rest des Tages stundenlang nichts. Kein Buch. Keine Wertmarken. Keine Vorräte. Keine Post. Weder von meinen Eltern noch vom Rechtsanwalt.

Authentische VHS-Aufnahmen vom Graebsee in Halle-Neustadt im Frühjahr 1990

In Gedanken flüchte ich mich an den Graebsee. Dort haben wir als Jugendliche die warmen Jahreszeiten mit unseren Mädels verbracht. Amtlich „Bruchsee“ genannt war Baden verboten. Die Polizei kontrollierte regelmäßig. Tagsüber am Flachufer drückte sie meist ein Auge zu. Abends auf der steilen Seite wurde sie deutlicher. Doch sie konnte nicht ständig hier sein, was wir gnadenlos ausnutzten.

Jedes Jahr ertrank mindestens ein Suffkopp, der von einer der meterhohen Steilwände am Westufer fiel. Wir Angeber sprangen von ganz oben mit sehr viel Anlauf ins Wasser, damit wir nicht mit dem Rücken die Steilwände entlang kratzten. Im Gebüsch bauten wir eine halbwegs wetterfeste Bude, in der wir viel Spaß hatten.

Mit 15 rettete ich im „Gräbser“, wie wir ihn nannten, einem 17-jährigen das Leben. Er war ausnahmsweise nicht besoffen, sondern hatte einen heftigen Krampf, schrie um Hilfe und geriet in Panik. So schnell ich konnte kraulte ich zu ihm, schlug ihm ins Gesicht und kniff ihm heftig in die Brust, damit er sich von mir zum Ufer führen ließ, ohne mich in den Abgrund zu ziehen.

Langsam schleicht sich der Samstag. Kein Schwein quatscht mich an – keine Sau interessiert sich für mich. Das tut weh. Im Osten nichts Neues. 𝓕𝓸𝓻𝓽𝓼𝓮𝓽𝔃𝓾𝓷𝓰 𝓯𝓸𝓵𝓰𝓽 …

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Matomo