Samstag, 19. Mai 1984

Freitagnachmittag hat sich der Wind wie befürchtet gedreht. Es ist kaum zu glauben, dass Jens und ich gemeinsam in einer Zelle im finalen „Verwahrhaus“ gelandet sind.

Damit nicht genug: Wir schlafen sogar direkt nebeneinander. Uns gehören die oberen Etagen von zwei zu einem Paar aufgestellten Doppelstockbetten.

Neben uns ein zweites Paar. Vor dem Fenster mit Betongitter steht ein einzelnes. An der gegenüberliegenden Wand links neben der Zellentür ein zweites.

Rechts daneben eine Kloschüssel für zehn Mann. Alles sehr eng. Zum Glück (?) werden wir hier nur nachts eingeschlossen.

In einem externen Waschraum, den wir am Tag erreichen, gibt es mehr Gelegenheiten.

Neben unserer Zelle befindet sich eine zweite mit fünf Einzelbetten, die sich unsere „Chefs“ teilen.

Der erste heißt „Olli“, ein bulliger Totschläger, der zurzeit im Arrest ist. Der zweite ist „Nobl“, ein lüsterner Fettsack mit tätowierter Träne unter einem Auge.

Der dritte nennt sich „Gaby“, ein kantiger Brutalo, vor dem alle Schiss haben. Der vierte ist „Dings“, der Entspannte ohne besondere Merkmale.

An fünfter und buchstäblicher letzter Stelle kommt „Bums“, ein schwaches Kerlchen, das hinter vorgehaltener Hand die „Mieze“ der Chefs ist.

Klein. Zart. Androgyn. Nachts muss er Nobl & Co. einen blasen. Tagsüber kann er mit uns machen, was er will.

Für unseren Schlafraum ist „Uns‘ Rudi“ verantwortlich. Ein kluger Kopf mit natürlicher Autorität. Kein Schläger. Aber auch kein „Kostverächter“.

Gleich in der ersten Nacht durften wir erleben, wie er sich mit einem Schwächling aus unserem „Schlafraum“ vergnügt. Sie bauen sich einen „Bus“, indem sie das untere Bett mit Decken abhängen. Dann geht es los.

Für den Tag gibt es einen Aufenthaltsraum mit schmalen Spinten für unsere Wäsche und Waschzeug. Außerdem ein paar Tische und Hocker.

Wir verbringen Stunden damit, unser Bettzeug aufs Karo genau und unsere Wäsche exakt auf Kante gefaltet zu üben.

Wer das nicht hinkriegt, muss auf „die Piste“. So nennt sich der lange Flur vor unserem Trakt, dessen Fußboden Jens und ich heute Nacht schrubben werden, während alle anderen in ihren Betten liegen.

Dafür müssen wir keine „Eingangsknechtung“ ertragen, beruhigen uns die anderen. Zum Einstand lieber auf die Piste, als die Fresse poliert bekommen. 𝓕𝓸𝓻𝓽𝓼𝓮𝓽𝔃𝓾𝓷𝓰 𝓯𝓸𝓵𝓰𝓽 …

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Matomo