Montag, 7. Mai 1984 

Rums-rums, rassel-rassel, schließ-schließ. Die Tür geht auf. Wir stehen entspannt und ich melde „Herr Oberwachtmeister, Verwahrraum sowieso mit einem Strafgefangenen und einem Häftling belegt“.

„Gefangener Jannot raustreten!“, sagt der große Schließer mit der Fistelstimme alias „Babyface“, der uns an vielen Tagen öfter und länger als andere auf den Betten hat liegen lassen.

Er tritt zurück, damit ich mich durch die Tür bücken kann. „Halt, Gesicht zur Wand!“, damit er sie schließen kann. Mann, wie ich das vermisst habe.

Es geht mal wieder in die armselige Zelle unseres kleinen Obermeisters, die sein Büro ist (siehe Montag, 9. Januar). „Das ist Ihre letzte Chance“, grinst er mich sitzend an, während ich vor ihm stehe.

Sonst was? Das werde ich schon sehen. No Way! Sie haben Ihre Chance gehabt. Mein Ausreiseantrag bleibt, wie er ist. Egal wo er ist (siehe Mittwoch, 14. März).

Noch mal zum Mitschreiben: Dieser Staat hätte mich tatsächlich überraschen können, wenn wir nicht so früh verhaftet worden wären. Oder der Haftrichter keine U-Haft angeordnet hätte. Oder die Ermittlungen eingestellt worden wären (siehe Sonntag, 11. März).

Dann wäre vielleicht alles anders gekommen. Dieser Zug ist spätestens seit meiner Verurteilung endgültig abgefahren (siehe Montag, 12. März).

Die Betonköpfe haben erwartungsgemäß alles vergeigt (was ich für mich behalte). So wie sie die völlig russifizierte Zone früher oder später in den Abgrund reißen werden (siehe Montag, 6. Februar).

Für mich gibt es nur ein Ziel (das ich für mich behalte). Durchhalten, bis sie mich abschieben oder ich vom Westen freigekauft werde. Meine Chancen sehe ich bei mindestens 60 Prozent (siehe Dienstag, 27. März).

Mir fehlt nur noch eine Gewissheit (die ich für mich behalte). Die werde ich bekommen, wenn mich meine Eltern besuchen. Wenn sie das tun, was für sie völlig untypisch wäre, dann klettern meine Chancen auf 90 Prozent. Der Rest ist nur eine Frage der Zeit, die ich durchhalten muss (siehe Mittwoch 7. März).

Mir wird meine Zuversicht schon noch vergehen, gibt der kleine Obermeister unmissverständlich zu bedenken und schickt mich in die Zelle zurück.

Das scheint der letzte Aufruf gewesen zu sein, bevor es abgeht, stellt „Assi Blaschi“ nüchtern fest, während ich mich darüber wundere, dass er noch da ist. 𝓕𝓸𝓻𝓽𝓼𝓮𝓽𝔃𝓾𝓷𝓰 𝓯𝓸𝓵𝓰𝓽 …

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Matomo