Montag, 30. Januar 1984

Die Nacht war kurz. Für tiefgründige Gespräche wie mit Jürgen und seinen Jungs ist mein neuer Zellenkumpan zu einfach gestrickt. Irgendwann kamen wir auf Musik zu sprechen.

Passend zum Kontext fällt mir „Jonny Controlletti“ von Udo Lindenberg ein und ich fange leise an zu singen: „Neulich war ich mal wieder in Amerika / Und da traf ich einen Herrn von der Mafia …“. Er ist hin und weg.

Eigentlich heißt er genau wie mein Bruder Andi. Doch er erinnert mich mehr an meinen Lieblings-Cousin Lutz, der immer für mich da war, wenn ich ihn in Teutschenthal besuchte. Was für einen fünf Jahre älteren Kerl mit hübscher Freundin keine Selbstverständlichkeit ist. Er hatte die schärfste Tonbandanlage der Welt. Stundenlang haben wir die Stones, Thin Lizzy und The Who gehört. 

Lutz war kein Schläger, der Streit suchte. Aber er ging auch keiner Prügelei aus dem Weg. Sein Problem war, dass er beneidenswert gut aussah. Das machte ihn begehrlich für eines der süßesten Mädchen aus der Region, was in Dorfdiscos immer ein Grund für Stress war. 

Einmal lauerten sie ihm zu fünft oder mehr auf. Mit zwei Idioten wäre er fertig geworden. Aber gegen weitere drei hatte er keine Chance. Sie traten ihn so böse zusammen, dass er ins Krankenhaus musste und wochenlang nur Flüssignahrung schlürfen konnte. Das hat ihn verändert.

Anstelle von Andi hätte es schlimmer kommen können. In der Schule hatten wir einen brutalen Schläger namens Thilo sowieso, der mindestens einmal pro Woche mit Genuss irgendwen verprügelte. Eines Tages sollte ich an der Reihe sein.

Doch wegen eines auffallend großen Anti-Atom-Zeichens auf meiner militärischen Schultasche, die aus Armeebeständen geklaut war, kamen wir ins Gespräch. Später wurden wir sogar sowas wie Freunde.

Entgegen seiner primitiven Natur hatte er eine philosophische Ader, über die wir einen Zugang zueinander fanden. Ohne Anti-Atom-Zeichen wäre es anders gelaufen. 

Andi liegt vom Typ her irgendwo zwischen Lutz und Thilo. Für Lutz zu hässlich und völlig unmusikalisch. Für Thilo nicht böse genug. Das könnte der Beginn einer interessanten Freundschaft sein.

Was er noch nicht weiß – ich kann über eine Stunde Dutzende Songs von Udo Lindenberg singen. Und zur Not auch Frank Schöbel, den ich heimlich sehr gern höre. 𝓕𝓸𝓻𝓽𝓼𝓮𝓽𝔃𝓾𝓷𝓰 𝓯𝓸𝓵𝓰𝓽 …

Matomo