Seit 52 Tagen und 53 Nächten sitze ich in dieser verdammten U-Haft. Weil heute Montag ist, dürfen wir wieder Bakelit-Stecker schrauben. Zwischendurch Hofgang. Sonst passiert nichts.
Damit keine Zweifel aufkommen, muss ich mich selbst motivieren, warum ich eigentlich hier bin. Weil ich fest daran glaube, dass ich früher oder später freigekauft werde. So wie Mitte der 1970er die Eltern von Iris.
1975 musste ich zur vierten Klasse die Schule wechseln (siehe Freitag, 17. Februar 1984). Iris saß eine Reihe neben mir und strahlte mich mit ihren blauen Augen an. Sie hatte blonde Haare und süße Sommersprossen. Beinahe hätte ich mich in sie verschossen.
Ein paar Monate später verschwand sie. Ihre Eltern, die wir gut kannten, sollen im Gefängnis sitzen. Möglicherweise musste sie in ein Heim. Doch es kam anders. In der fünften oder sechsten Klasse erhielten wir eine Postkarte aus München. Sie war drüben.
1981 stürmte die Spider Murphy Gang mit „Skandal im Sperrbezirk“ die Charts. Es gab keine Disco, in der wir nicht wenigstens einmal „In München steht ein Hofbräuhaus / Doch Freudenhäuser müssen raus / Damit in dieser schönen Stadt / Das Laster keine Chance hat …“ voller Inbrunst tanzten und sangen.
Jetzt weiß ich wieder, weshalb ich hier sitze und Bakelit-Stecker schraube. Weil ich es so wollte und der härteste Scheiß irgendwann vorbei ist. 𝓕𝓸𝓻𝓽𝓼𝓮𝓽𝔃𝓾𝓷𝓰 𝓯𝓸𝓵𝓰𝓽 …
𝓟𝓢: Was ich 1984 noch nicht wusste: Exakt ein Jahr nach meiner Entlassung, am 15. August 1985 (!), fuhr ich mit Iris ins Pitztal. Dort gibt es einen Gletscher, auf dem wir mit Wolfgang Ambros in den Ohren „Schifoan“ woan. Doch damit nicht genug. 20 Jahre später, im Sommer 2005 feierte eine liebe Freundin, die Frau von Markus, einer meiner ältesten und engsten Freunde in meinem zweiten Leben, einen runden Geburtstag. In der Garage saßen … Günther Sigl, der Sänger der Spider Murphy Gang, und Dieter Radig. Sie spielten natürlich und unter anderem „Skandal im Sperrbezirk“ für Gaby und ihre Gäste. Kathrin und mir kamen die Tränen.