Montag, 13. Februar 1984

Das ist meine sechste Woche in U-Haft. Während wir an unseren Bakelit-Steckern schrauben, versuche ich mich an meine früheste Kindheit zu erinnern. Erste Erinnerungen flackern in einer Tageskrippe auf.

Meine Mutter musste meist sehr früh und im Dunkeln in einen sehr großen Betrieb zur Arbeit. Dass es sich um Buna in Schkopau handelte, wusste ich damals nicht. Wie wir die ca. 5 km dorthin gelangten, kann ich nicht sagen. Vermutlich auf einem Fahrrad mit Kindersitz. Das war damals üblich.

Am Eingang des riesigen Betriebs wuselten unglaublich viele Menschen hin und her. Wir überquerten eine ewig lange Brücke, die überdacht war. Dann gab mich meine Mutter irgendwo ab, bis sie mich viele lange Stunden später, meist im Dunkeln wieder abholte. 

1968 bezogen wir, meine Mutter, mein fünf Jahre älterer Bruder und ich eine wunderschöne Neubauwohnung mit drei Zimmern, Küche, Bad und Telefon in Halle-Neustadt, keine 20 km nördlich von Merseburg. Meine Eltern waren frisch geschieden. An einen Vater kann ich mich nicht erinnern.

Gleich nebenan, nur einen Häuserblock weiter gab es ein Kinderwochenheim, in das ich Montagmorgen eingeliefert und Freitagabend wieder abgeholt wurde. Von dort konnte ich die Fenster unserer Wohnung sehen, aus denen meine Mutter ab und zu winkte.

Das Wochenheim habe ich in bester Erinnerung. Tagsüber spielten wir mit Bauklötzen, Puppen und sonstwas. Nachts war ich von guten Freunden umgeben.

Einer hieß genau wie ich Thomas, hatte aber anders als ich eine dunkle Hautfarbe. Zusammen stellten wir laufend irgendwelchen Blödsinn an. Unsere Erzieherin, Frau Zander, hatte die ausdrückliche Erlaubnis, uns den Arsch zu versohlen, was sie ab und zu auch tat.

Manchmal nahm sie uns beide, den dunklen Thomas und mich übers Wochenende mit nach Bennstedt, ein Dorf in der Nähe von Teutschenthal, wo sie wohnte. Dort verbrachten wir wunderschöne Zeiten in ihrem Haus mit Garten. Frau Zander war die beste. So ging das bis zur Einschulung. Das war 1972. 𝓕𝓸𝓻𝓽𝓼𝓮𝓽𝔃𝓾𝓷𝓰 𝓯𝓸𝓵𝓰𝓽 …

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Matomo