Mittwoch, 7. März 1984

Wir montieren wie gehabt Bakelit-Stecker und ich überlege, welches Lied ich heute meinem Zellenkumpan Andi beibringe.

Er hat sein Urteil inzwischen akzeptiert und wird neugierig. Wie ich meine „Republikflucht“ eigentlich durchziehen wollte, hätte ich ihm noch nicht erzählt.

Kein Problem. Bis zu meiner Gerichtsverhandlung wird sich der Wind kaum noch drehen. Also erzähle ich ihm die Geschichte ganz von vorn (siehe Samstag, 7. Januar):

Am Freitag, 6. Januar 1984 eine Auseinandersetzung mit der Heimleitung im Lehrlingswohnheim gehabt. In Erwartung eines Hausverbots die Gelegenheit zum Anlass genommen und mit einem Kollegen eine längst geplante Reise begonnen.

Am späten Abend einen verdächtigen Zettel geschrieben und das Lehrlingswohnheim verlassen. Zu Fuß nach Greifswald gelaufen. Dort Tickets nach Halle gekauft und auf den Nachtzug gewartet. Dann klickten die Handschellen.

Auf dem Polizeirevier zugegeben, dass wir in einen der nächsten Fernzüge in Richtung Westen umsteigen wollten. Jederzeit mit Festnahme gerechnet. Spätestens an der Grenze.

Ich bin also mit voller Absicht hier. Wenn sie mich nicht abschieben oder freikaufen, dann geht das ganze Theater von vorne los, sobald ich meine Strafe abgesessen habe. Solange, bis es klappt.

Damit es klappt, einen spezialisierten Anwalt genommen. Und meine Eltern informiert, dass sie meine Verwandten in Wuppertal informieren sollen, damit die wen auch immer informieren können.

Seit Rechtsanwalt Vogel zugesagt hat (siehe Donnerstag, 2. Februar), sehe ich meine Chancen bei 30 Prozent. Sobald meine Eltern „mitspielen“, steigen sie auf 60. Wenn meine Verwandten in Wuppertal das Richtige tun, sind wir bei 90. Der Rest ist eine Frage der Zeit.

Wir grinsen uns an und einigen uns auf das Lieblingslied meiner Mutter, das ich ihm heute beibringe: „Butterfly“ von Danyel Gérard – leicht umgetextet: „Butterfly, my Butterfly / Jeder Tag mit Dir war schön / Butterfly, my Butterfly / Wann werd’ ich Dich wiederseh’n? … In zwei Jahr’n / In zwei Jahr’n / Dann werd’ ich Dich wiedersehen…“. 𝓕𝓸𝓻𝓽𝓼𝓮𝓽𝔃𝓾𝓷𝓰 𝓯𝓸𝓵𝓰𝓽 …

Matomo