Was ich gegen unsere Armee habe, will Andi wissen. Der Westen habe doch auch eine. Und eine Wehrpflicht haben die da drüben auch. Das sind die üblichen Argumente, mit denen ich ständig konfrontiert werde.
Ja, es gab eine Zeit, da schaute ich mit großen Augen zu großen starken Männern mit Stahlhelm und Kalaschnikow herauf, die uns Kinder vor bösen Feinden beschützen. Die Nachrichten sind voll von abartigen Kriegen, blutigen Konflikten und atomaren Gefahren.
Erst wollte ich Vollmatrose der Handelsschifffahrt werden, um die Welt zu sehen. Dazu hätte ich mich „nur“ für drei Jahre zur Volksmarine verpflichten brauchen, um in vorteilhafte Nähe erfolgreicher Bewerbungen zu kommen.
Dann wollte ich Fallschirmjäger werden. Aber ganz ehrlich eigentlich nur, um über die grüne Grenze irgendwo im Ausland abhauen zu können.
Mein Fass zum Überlaufen brachte unsere Russenkaserne am nördlichen Rand von Halle-Neustadt. Als Schüler kaupelten wir mit den Soldaten Uhren, Zigaretten, Schnaps und sonstwas. Was mich damals völlig betroffen machte, war ihre Unterbringung und wie sie behandelt wurden.
Sie hausten in Schweinebuchten direkt neben den Tieren. Kaum hatte man Freundschaft geschlossen, haute einer von ihnen ab und man hörte nie wieder was von ihm. Während die Offiziere mit ihren Frauen durch die Stadt spazierten, mussten einfache Soldaten Scheiße fressen.
Das widersprach dem Bild, das uns jungen Kerlen vermittelt wurde, wenn uns Werber der NVA für drei Jahre und mehr gewinnen wollten. Wer sich für länger als 18 Monate verpflichtete, dem standen alle Türen offen, egal, wie dämlich er war. Hauptsache linientreu und so früh wie möglich Mitglied der SED.
Mit 16 habe ich unmissverständlich realisiert, dass wir einen Schwur auf eine Partei und den Sozialismus leisten müssen. Das Vaterland gegen Angreifer verteidigen? Einverstanden. Die Interessen einer linksextremistischen Partei mit Waffen gegen den Rest der Welt durchsetzen? Kommt nicht infrage.
Das sieht Andi tatsächlich entspannter, zumal es ihm durchaus Spaß macht, draufhauen zu dürfen, wenn es notwendig ist. Solange wir darüber reden können, kann ich damit leben. Doch was ist, wenn er den Befehl bekommt, Leute wie mich aus dem Verkehr zu ziehen? Immerhin kommt er ins Grübeln.
Zu Andis hemdsärmeliger Gewaltbereitschaft fallen mir heute zwei Lieder ein: „Der King vom Prenzlauer Berg“ von City und „Die Heizer kommen“ von Udo. Welches Schweinderl hätte er gern? Er entscheidet sich für City.
„Sie nennen ihn Nobi / Er ist nicht groß / Er ist nicht klein / Ziemlich stark / Fast schon ein Mann … Und so ist es im Klub geschehen / Dort bekam er Streit / Wegen einem Zahn / Und er führte sich auf wie Dschingis-Kahn …“. Die Heizer werde ich ihm morgen beibringen. Weiter gehts im Bakelit-Programm. Im Osten nichts Neues. 𝓕𝓸𝓻𝓽𝓼𝓮𝓽𝔃𝓾𝓷𝓰 𝓯𝓸𝓵𝓰𝓽 …