Das ist nur eine Arrestzelle. Weil sie in meinen Klamotten etwas gefunden haben, was dort nicht hingehört. Natürlich wollen sie wissen, was das soll, versuche ich mich zu beruhigen.
Sag ihnen einfach die Wahrheit. Mal sehen, ob es ein Gesetz gibt, wonach die Annahme von Geldgeschenken in Ostwährung verboten ist. Dann sehen wir weiter.
Kaum habe ich meine Panik in den Griff bekommen, holten sie mich ohne großes Brimborium aus dem Käfig und schubsten mich ins „Büro“ eines wachhabenden Offiziers.
Wie ich an das Zweimarkstück gekommen bin und wieso ich es versteckt habe, will er seelenruhig wissen.
Von einem russischen Soldaten auf der Zugfahrt hierher, als wir irgendwo herumstanden, antworte ich so kompakt wie möglich.
Und damit es mir nicht geklaut wird, bevor ich es in Wertmarken tauschen kann, habe ich es versteckt, füge ich so naiv wie nötig hinzu.
Er schaut mich lange prüfend an. Dass Russen am Waggon waren und es so gewesen sein kann, hat er sicher längst erfahren. Dass ich wirklich so blöd bin, kann er sich hoffentlich vorstellen.
Anders als die Stasi, muss er kein Politikum daraus machen. Vielleicht will er einfach nur eine ruhige Nachtschicht ohne bescheuerten Schreibkram haben.
Er glaubt mir und schickt mich zurück – zu den anderen. Im Morgengrauen werden Jens und ich wieder in den Grotewohl-Express verfrachtet (siehe Mittwoch, 9. Mai). Einige Gesichter bleiben hier. Neue kommen hinzu.
Im Lauf des Tages erreichen wir Halle an der Saale. Ein Hauch Erleichterung kommt auf. Hier kenne ich mich aus. Mit etwas Glück kenne ich einen, der einen kennt, der mich kennt.
Doch als wir in Handschellen aneinander gekettet über den Bahnsteig geführt werden, ist erstmal Schämen angesagt. Die Leute starren uns an.
Wer weiß, was die ausgefressen haben. Wie der Lange da in dem Ledermantel und mit den schwarzen Stiefeln schon aussieht (siehe Sonntag, 29. April). Das sind doch alles Verbrecher, die hinter Schloss und Riegel gehören, versuche ich ihre Gedanken zu lesen.
Endlich verschwinden wir in den Katakomben unterm Hauptbahnhof, wo uns keiner sehen kann. In einem grauen Transporter ohne Fenster geht es in die „Frohe Zukunft“. So heißt der Stadtteil, in dem das „Jugendhaus Halle“ seine Schleuse für uns öffnet. 𝓕𝓸𝓻𝓽𝓼𝓮𝓽𝔃𝓾𝓷𝓰 𝓯𝓸𝓵𝓰𝓽 …