Dienstag, 14. Februar 1984

Seit 39 Tagen und Nächten bin ich hier eingesperrt. Mein Zellenkumpan Andi und ich haben inzwischen Hunderte, wenn nicht gar Tausende Bakelit-Stecker montiert.

Nebenbei leise singen, dummes Zeug quatschen und grübeln – mehr geht und gibts nicht. Also hänge ich meinen Gedanken von gestern nach.

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Meine Mutter war keine Rabenmutter, nur weil sie mich über Jahre so oft es ging in ein Wochenheim auslagerte. Im Gegenteil.

Marga Christa Jannot, geborene Gerschkow, wie sie bis 1975 hieß, verteidigte ihre beiden Kinder, meinen großen Bruder Andreas Fred alias Andi und mich mit Zähnen und Klauen gegen jeden und alles, was uns ans Leder wollte. Sie war nur keine Schmusemutti, die ihre Kinder knuddelte.

Sie wollte Karriere machen und nutzte, nein forderte dafür alle Möglichkeiten, die ihr das System bot. Sie wurde Chemielaborantin, machte ihren Meister und brachte es bis zur Schichtleiterin, nachdem sie wie die meisten Schüler ihrer Generation in der achten Klasse abging.

Sie machte Karriere, obwohl sie vor versammelter Mannschaft ihr Abschlusszeugnis zerriss. „Das schaffe ich auch ohne Euch!“, soll sie ihren chauvinistischen Lehrern ins Gesicht gesagt haben, die sie aus den damals üblichen Gründen in einer anderen Zukunft sahen.

So fürsorglich unsere Mutter für uns da war, wenn sie uns zwischen ihren Schichten an der Backe hatte, so abgebrüht konnte sie sein. Wenn ich mir die Knie aufschlug, streute sie Babypuder auf die offenen Wunden, wuschelte mir den Hinterkopf und schickte mich umgehend wieder nach draußen. Geküsst hat sie mich nie.

Zum Schmusen verhaftete ich meine Großeltern und Tanten. Opa Alfred drückte und streichelte mich bereitwillig. Opa Hans hielt sich zurück. Oma Frieda konnte und wollte sich nicht wehren. Oma Charlotte war tot. Als Opa Alfred starb, zog „Onkel Rudi“ ein. Das war der Anfang vom Ende. 𝓕𝓸𝓻𝓽𝓼𝓮𝓽𝔃𝓾𝓷𝓰 𝓯𝓸𝓵𝓰𝓽 …

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Matomo