Die Geister, die wir riefen

Gestern telefonierte ich mit dem Anzeigenleiter eines befreundeten Verlags. Hintergrund war die Anfrage einer Firma, die ihren Werbeetat in eben jenem Verlag um 90% (in Worten: neunzig Prozent) reduziert hat und den Rest in so genannte Resonanzwerbung investieren will. Dagegen ist nichts einzuwenden, wenn die erwünschte Resonanz realistisch wäre.

Als neuer Besen in dieser Firma würde ich wahrscheinlich genauso kehren: Der Erfolg von Online-Werbung ist bis auf den letzten Cent messbar. Also erwarte ich von jedem investierten Werbeeuro mindestens zwei zurück. Im konkreten Fall sogar 2000% (in Worten: zweitausend Prozent). Daran ist ebenfalls nichts auszusetzen, wenn der Faktor Zeit realistisch wäre.

Doch das ist er nicht. Die gewünschte Aktion endet mit dem Buchungszeitraum. Bis dahin oder kurz darauf sollen alle Rezipienten das Produkt in der einen oder anderen Weise pekuniär zählbar geordert haben. Um den gewünschten Erfolg zu erzielen, darf der Verlag das bewilligte Budget im Wesentlichen sogar nach eigenem Gusto einsetzen. Damit delegiert die Firma ihr Verkaufsproblem 1:1 an den Verlag. Da die meisten Verlagshäuser nun mal keine Online-Shops sind, sondern von glaubwürdigen Informationen für qualifizierte Zielgruppen leben, in die sie jahrelang nach journalistischen Maßstäben investieren, lehnt ein Verlag, der es sich leisten kann, ab. Was aber, wenn immer mehr Firmen so denken, weil Anzeigenpreise im Allgemeinen und Hemmschwellen im Besonderen im Sturzflug begriffen sind?

Dann versuchen noch clevere neue Schrubber im Auftrag des Besens die aussterbende Spezies sturer Verlage gegeneinander auszuspielen, wovon man erfährt, wenn man miteinander telefoniert, was unter Verlagen durchaus üblich ist. In einem vergleichbaren Fall war es die Firma X, die von seiner Not wissend beim Verlag Y eine Werbekampagne zu einem Spottpreis durchsetzen wollte. Y lehnte ab. Also rief X bei Z an und behauptete, dass Y bereits zugesagt habe. Z lehnte trotzdem ab und rief hinterher bei Y an, um das zu klären. Y und Z realisierten den plumpen Versuch und respektierten mit Genugtuung die Ablehnung des jeweils anderen. Tage später sehen sie eben diese Kampagne woanders.

Was tun? Miteinander reden und darauf hoffen, dass die vermeintlichen Gewinner auf Dauer keinen Erfolg haben werden. Wer einen langen Atem hat, sitzt aus und rechnet. Bis Ähnliches passieren wird, was in der Bankenwelt bereits Realität ist: Bankfilialen klagen immer öfter, dass sie von Menschen gemieden werden, weshalb sie immer weniger Gelegenheiten haben, erklärungsbedürftige Produkte zu verkaufen. Dabei waren sie es selbst, die ihre Kunden zuerst an die Automaten geschickt und dann zum Online-Banking genötigt haben. Das hat Kosten gespart. Dann begann die Einsamkeit, mit der sich nur in einschlägigen Branchen sogar am Telefon unanständig leicht unverschämt viel Geld verdienen lässt.

💡 Sie haben einen Linkedin-Account? Dann können Sie meinen Newsletter „Der 18-Jährige, der einen Zettel schrieb und verschwand“ abonnieren ✔︎ 

Matomo