Der Schwindel mit den Updates

Mit Wehmut denke ich an meine gute alte Procomm-Diskette, auf der die Dokumentation zur Software größer war als das Terminalprogramm. Procomm hat mich über viele Jahre hinweg begleitet, als Datenfernübertragungen mit 300 Bit/s noch ein Abenteuer waren und für Btx sensationelle 2400 Sachen eingeführt werden sollten.

Inzwischen genieße ich die DDE,- OLE- und MP2-Eigenschaften von Windows und wechsle natürlich nur noch ungern in ein spartanisches DOS-Fenster mit steinzeitlichen ASCII-Menüs. Doch zufriedener bin ich deshalb noch lange nicht. Denn ich wechsle inzwischen meine DFÜ-Software häufiger als mein Hemd. Warum? Weil ich mich jedesmal wieder von neuem ärgere.

Die modernen Programme müllen mindestens 5 bis 10 MByte auf die Festplatte und verseuchen mitunter die WIN.INI, dafür sind sie aber komfortabler. Sicher, das Mehr an Komfort bedeutet, daß meine DFÜ-Aktivitäten mit witzigen Sounds begleitet werden; auch die Maus kommt immer mehr zum Einsatz.

Aber die eigentlichen Jobs, die ein Terminalprogramm für mich erledigen muß, sind nach wie vor dieselben: Rufnummer auswählen, Verbindung aufbauen, einloggen, mich rumschnüffeln lassen, E-Mails downloaden, Dateien uploaden, ein wenig rumchatten und wieder auflegen. Soll ich dafür jetzt ein mehrere MByte großes Programm benutzen?

Da hat man einen ausgewachsenen 486er unterm Schreibtisch stehen, der besser rechnet als ein Pentium, und dennoch ist die monatliche Telefonrechnung ein Lotteriespiel. Nur die Telekom will angeblich auf die Einheit genau wissen, wie lange man gechattet hat.

Was ist eigentlich so schwer daran, einen ordentlichen Gebührenzähler in einen Datex-J-Decoder, in WinCIM oder in ein Terminalprogramm zu integrieren? Dann wüßte ich wenigstens jederzeit, wie meine Aktien stehen. Wenn die Installationsprogramme immer mehr Einstellungen selbst für exotische Modems erlauben, warum fragt mich kein Programm bei der Eingabe einer Rufnummer in das Telefonverzeichnis, ob sich die Mailbox im Ortsbereich befindet oder ob es ein Überland-Chat wird? Dann könnte mir die Software wenigstens mit Hilfe der Systemzeit im PC die laufenden Verbindungsgebühren ausrechnen und anzeigen.

Schauen Sie sich zum Beispiel mal die neuen KlT-Decoder an. Da werden ganze Oberflächen umgekrempelt und Icons hochgestylt, als ob das die größten Probleme von Datex-J wären. Statt live vorzurechnen, wie günstig ein Qualitäts-Container gegenüber einem Leere-Seiten-Abzocker wirklich ist, sollen billige Hintergrundgrafiken Multimedia-Feeling vorgaukeln. Um Online-Verbindungen salonfähig zu machen, sind andere Dinge wichtig: höchste Kostentransparenz und Ablaufoptimierungen, damit man kein Geld zum Fenster rauswirft.

Warum werden Software-Updates immer größer und langsamer statt kleiner und schneller? Weil den Programmierern nichts mehr einfällt? Nein, sicher nicht. Sondern weil die Marketingabteilungen offensichtlich auf Dummenfang gehen und mit Farbenpracht und Sound-Unterstützung nur mehr Käufer, aber keine zufriedeneren Anwender haben wollen.

In der Hoffnung, daß sich die Software-Hersteller bald ein Beispiel an der Auto-Industrie nehmen, die schmerzlich feststellen mußte, daß man mit Kleinwagen mehr Geld verdienen kann als mit Straßenkreuzern, wünsche ich uns allen bald schlankere Programme mit wirklich wichtigen Funktionen.

PS: Dieser Beitrag ist eine 1:1-Abschrift nach alter Rechtschreibung. Das gedruckte Original erschien im Februar 1995 in PC-ONLiNE 3/1995.

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Matomo