Mit einem Bein im Knast

Wie sich die Zeiten doch ändern. Es war einmal, da mußte man zwangsläufig das Gesetz übertreten, wenn man einfach nur ein wenig telekommunikativen Luxus genießen wollte, ohne gleich ein Vermögen dafür auszugeben. Amtlich zugelassene Modems, schnurlose Telefone und bessere Anrufbeantworter kosteten weit über 1000 DM und taugten dennoch nicht viel.

Die etwas cooleren High-Tech-Freaks kauften hemmungslos Importe oder schmuggelten Technics aus Taiwan oder Übersee durch den Zoll und hofften darauf, daß ihre Nachbarn sie nicht verpetzten. Das ging eine ganze Weile gut.

Doch schon bald beschlagnahmten übereifrige Staatsanwälte die vertraulichen Kundenkarteien einschlägiger Import-Export-Läden und filzten bundesweit private Wohnungen nach sogenannten illegalen Modems und ähnlichen Schwerverbrecher-Utensilien.

In diesen Zeiten war es kaum möglich, der lieben Oma von nebenan zu erklären, daß die drei bewaffneten (?) Beamten während der nächtlichen Hausdurchsuchung nicht nach Rauschgift fahndeten, sondern überprüften, ob der Verdächtige doch tatsächlich ein Billig-Modem ohne Bundesadler für seine nächtlichen Streiftouren durchs Internet an der hoheitlichen TAE-Dose der Deutschen Bundespost Telekom angeschlossen hatte.

Stellen Sie sich das mal vor: Während das organisierte Verbrechen in den neuen Bundesländern generalstabsmäßig Milliardenbeträge erbeutete, und schmierige Gauner ahnungslosen Menschen für viel Geld überzogene Versicherungen und anderen Wohlstandsmüll aufschwatzten, waren an einem Tag mindestens sechs Beamte allein damit beschäftigt, unter anderen auch meine Privatwohnung und mein Büro in der Redaktion laut beglaubigter Abschrift des Durchsuchungsbefehls nach „nicht genehmigungsfähigen beziehungsweise nicht postzugelassenen Fernmeldeanlagen (insbesondere Modems)“ zu durchsuchen und „als Beweismittel für anhängige Ermittlungsverfahren“ zu beschlagnahmen. Gemessen an der Zahl der Hilferufe unserer Leser, denen ähnliches widerfuhr, muß dies von Flensburg bis Garmisch-Partenkirchen tausendfach geschehen sein.

Bei mir mußten sie in beiden Fällen unverrichteter Dinge wieder abziehen. Nicht, weil ich das kriminelle Werkzeug nicht mehr hatte, sondern weil ein Beamter – ein Experte vom Zulassungsamt BAPT – zunächst einen CD-Player am PC, der wohl irgendwie einem Zyxel ähnelte, für das Corpus delicti hielt und dem Bundesadler auf meinem damals nagelneuen D-Netz-Handy nicht traute.

Schließlich wurden auch meine Modems entdeckt – als ausgemusterte Grafikkarten getarnt. Doch weil der Besitz allein nicht strafbar ist, und wenigstens ein Beamter, dem das alles offensichtlich zu blöd war, sich bei mir auch noch dafür entschuldigte, daß er ja schließlich nur seinen ihm aufgehalsten Job mache, ließen sie mich ungeschoren. Kurz nach sieben Uhr morgens war der ganze Spuk vorbei.

Andere Delinquenten hatten zunächst weniger Glück. Bei einem unserer Autoren wurde das ebenfalls nicht am öffentlichen Telefonnetz angeschlossene Modem vorsorglich konfisziert. Erst auf eine Eingabe hin, in der jener Autor auf die Zurückgabe seiner Hardware bestand, gaben die Kommissare nach und gestatteten die Abholung nach Hause.

Inzwischen wurden und werden die meisten Ermittlungsverfahren wieder eingestellt. Und die verantwortlichen Staatsanwälte kümmern sich nun hoffentlich um wirkliche Verbrecher.

Nicht weil der Anschluß von nicht zugelassenen Endgeräten an das öffentliche Telefonnetz nicht mehr strafbar, oder nur ein Kavaliersdelikt sei, sondern, weil es keinen Grund mehr gibt, sich mit „illegalen“ Modems überhaupt herumzuärgern. Das haben inzwischen auch erfahrene wie potentielle Inquisiteure gelernt – lesen, hören und sehen sie doch nahezu täglich in Nachrichtenmagazinen und Rundfunksendungen, daß Online-Verbindungen inzwischen zum guten Ton gehören.

Es lohnt sich ganz einfach nicht mehr, Billigimporte ohne amtlichen Segen zu kaufen, weil zugelassene Modems auch nicht mehr die Welt kosten – lange genug hat es gedauert.

PS: Dieser Beitrag ist eine 1:1-Abschrift nach alter Rechtschreibung. Das gedruckte Original erschien im Januar 1995 in PC-ONLiNE 2/1995.

 

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Matomo